Prof. Dr. med. Dietrich Tönnis

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Hüftkopfnekrosen im Zeitalter der Sonographie und wie sie sich vermeiden lassen

© Prof. Dr. med. Dietrich Tönnis

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Die Hüftkopfnekrose ist die am meisten gefürchtete Komplikation bei der konservativen Behandlung der congenitalen Hüftluxation.



Wird ein zu hoher Druck auf den knorpeligen Hüftkopf bei der Einstellung im Gipsverband durch zu starke Abspreizung der Oberschenkel in die Lange- (links) oder Lorenz-Stellung (rechts) ausgeübt ...



... oder durch Druck des Hüftkopfes gegen einen verengten Pfanneneingang wie hier zu sehen, ...



... dann wird die Durchblutung des noch knorpeligen Hüftkopfes und seiner zahlreichen kleinen Gefäße unterbrochen. Hier weist der Hüftkopf allerdings schon einen kräftigen Knochenkern auf.



Bei Nekrosen kommt es zu einem teilweisen oder weitgehenden Zerfall des Hüftkopfes. Dies sind unsere Grade.



Die letzte Sammelstatistik des Arbeitskreises für Hüftdysplasie wurde in dem Buch "Die Hüftreifungsstörung" im Steinkopff Verlag veröffentlicht.

Die Autoren der Sammelstatistik sind:
Altenhuber J., Amler B., Amler M.; Anders G., Behrens K., Bernau A., Brüning K., Casser HR., Chicote-Campus F., Clausing B., Doppler G., Exner U., Gekeler J., Gohlke F., Graf R., Grill F., Hovy L., Janteas Ch., Kern S., Klapsch W., Konermann W., Lebowski B., Ludwig C., Maronna U., Mellerowicz H:, Münzenberg KJ., Niethard FU., Noe G., Plaschy S. Pomsel T., Tönnis D., Tschauner D., Venbrocks RA, Werland K.
Statistische Mitarbeit: A. Heinecke.

Das Krankengut umfaßte 388 Kinder im Alter bis zu 3 Monaten ohne Vorbehandlung.

(Tab. 1) Prozent der Hüftkopfnekrosen bei Hüfttypen nach Graf
Hüfttyp Nekrosen (%) Gelenke
2a 3,2 31
2a + 0,0 74
2b 1,5 56
2c 0,0 70
2d 0,0 81
3a 4,4 204
3b 12,5 16
4 5,0 40

Hier fiel uns auf, dass der Hüfttyp 3b nach Graf die höchste Nekroserate mit 12,5 % hatte, Typ 3a mit 4,4 %, Typ 4 mit 5,0 %. Die anderen Hüfttypen wiesen nur ganz geringe Prozentsätze auf (Tab. 1).

(Tab. 2) Hüftkopfnekrosen bei röntgenologischen Abweichgraden (%)
Grad Nekrosen (%) Gelenke (%)
1 0,9 213
2 5,2 697
3 14,7 75
4 0,0 20

Prüft man die Nekroserate auch bei den Luxationsgraden, die wir im Arbeitskreis einführten, so liegt der Gipfel hier mit 14,7 % bei Grad 3 (Tab. 2). Dann steht der Kopfkern oder sein Zentrum entsprechend Grafs Luxationsgrad 3 in der Nähe des oberen Pfannenrandes. Bei Grad 4 gab es jedoch keine Nekrosen, weil hier vermutlich operativ eingestellt wurde.



Lassen Sie uns solche Fälle an Hand von Arthrographien betrachten. Hier liegt beidseits der Hüfttyp 3 nach Graf vor.


Dass es sich um den Typ 3b handelt, könnte man im Sonogramm nach der zarten Verdichtung des knorpeligen Pfannenrandes annehmen. Auf jeden Fall haben wir hier schon einen Kopfkern, der im Sonogram früher als im Röntgenbild auftritt. Das ist wichtig.


In der Repositionsstellung der rechten Hüfte sieht man, dass der Hüftkopf zwar unter dem oberen Labrum steht, der Pfannenboden wird aber von dem ausgedehnten Lig. capitis und unterem Labrum ausgefüllt. Wahrscheinlich verengt auch das Lig. transversum den Eintritt in die Pfanne. Am linken Hüftgelenk ist der Eintritt in die Pfanne etwas verengt, aber nicht so stark wie rechts.


Die späteren Röntgenkontrollen ergaben keine Nekrosen der Hüftköpfe. Hier sieht man allerdings noch sehr zarte Kopfkerne.



Hier eine andere Typ 3 Hüfte.


In Repositionsstellung sperren sich die Weichteile noch gegen die Tiefeinstellung.


Vier Monate später - was ist das! - hat sich ein kräftiger Kopfkern gebildet und hat seinen Weg tief in die Pfanne geformt. Das war ein gefährliches Unternehmen.



Jetzt wollen wir uns den Verlauf eines vergleichbaren Hüftgelenkes ohne Kopfkern ansehen. Dieses Bild dürfte dem Hüfttyp 3 nach Graf entsprechen.


Die Repositionsarthrographie zeigt die Einstellung des Hüftkopfes in einen verengten Pfanneneingang zwischen oberem Labrum und vorgezogenem Lig. transversum und unterem Labrum. Ein Kopfkern fehlt noch.


Im Verlauf trat eine schwere Hüftkopfnekrose auf mit Beteiligung der Metaphyse.


Und so sah das bittere Endergebnis im Alter von 15 Jahren aus.



Hier sehen wir noch einmal das Gegenteil, wenn ein Kopfkern vorhanden ist, dann tritt auch bei diesen stark verschobenen Typ 3 Hüftgelenken mit Kopfkern keine Nekrose auf.


Hier sehen wir die Arthrographie in Mittelstellung.


In der Repositionsstellung rechts zeigt sich, dass der Hüftkopf gut unter das knorpelige Pfannendach tritt, auch relativ dicht aber nicht voll an den Pfannenboden.


Im Alter von 5 1/2 Jahren läßt das Röntgenbild eine regelrechte Entwicklung der Hüften erkennen.



(Tab. 3) Nekroserate in Abhängigkeit von der Entwicklung des Kopfkerns
Entwicklung Kopfkern Nekrose (%) Gelenke (No.)
normal 0,9 109
fehlend 4,5 110
klein 8,7 85
verzögert 12,5 16

Schon 1984 haben wir darauf hingewiesen, dass Nekrosen bei Fehlen oder verzögerter Entwicklung des Kopfkerns aufreten, wenn er Belastungen bei der Reposition ausgesetzt wird (Tab. 3).

(Tab. 4) Nekroserate in Abhängigkeit von der Weite der Pfannenöffnung
Pfannenöffnung (mm) Nekrose (%) Gelenke (No.)
35 - 27 3,0 66
26 - 22 5,2 116
21 - 16 7,9 127
15 - 4 19,4 66

Von Einfluss ist die Weite der Pfannenöffnung bei der Arthrographie in Repositionsstellung, wie Sie in dieser Tabelle sehen (Tab. 4).

(Tab. 5) Nekroserate in Abhängigkeit vom Abstand Hüftkopf - Pfannenboden
Abstand (mm) Nekrose (%) Gelenke (No.)
0 - 2 2,7 150
3 - 5 4,1 123
6 -11 25,0 16

Das gilt auch für den Abstand des Hüftkopfes vom Pfannenboden wie hier bewiesen (Tab. 5).


Für den Hüfttyp 4 nach Graf gilt das Gleiche. Bei Fehlen des Kopfkerns, engem Pfanneneingang und steigender Entfernung vom Pfannenboden ...


... formt sich der Hüftkopf in Repositionsstellung zwar seinen Weg. Das sehen wir hier ...


... aber seine Durchblutung wird gedrosselt. Links ist die Nekrose zu sehen.



Hier zum Vergleich noch eine andere stark luxierte Typ 4 Hüfte.


Bei diesem Hüftgelenk ist das Labrum in die Pfanne hineingedrängt. Die Pfanne ist auch sehr seicht. Hier ist eine operative Einstellung erforderlich.



(Tab. 6)
Obstructing factors Nekrose (%) Gelenke (Anzahl)
none 3,6 139
Isthmus of capsule 3,9 51
Pulvinar + lig. capitis 6,7 30
Isthmus upper-lower labrum 8,5 82
Inverted upper labrum 31,0 29

Bei diesem Befund kam es in 31 % zu Nekrosen, wie die unterste Zeile der Statistik hier zeigt, wenn konsevativ vorgegangen wurde (Tab. 6).


Dies ist ein Bild von Hüftgelenken, bei denen eine Dysplasiebehandlung zum Erfolg führt, wenn ein Hocksitzgips nach Auftreten der Kopfkerne im ersten Lebensjahr angelegt wird. Im zweiten Lebensjahr und später mussten wir bei diesem Dysplasiegrad immer zur Azetabuloplastik greifen. Sonst verblieb meist eine Restdysplasie. Das sollte auch berücksichtigt werden.



Hier zeige ich noch einmal ein Hüftgelenk, das in Mittelstellung dem Pfannenboden gut anliegt, aber noch eine Pfannensteilstellung zeigt, die wir als Hüftdysplasie bezeichnen.



Hier sehen wir auch die exakte Tiefeinstellung in Repositionsstellung im besten Falle.



Abschließend ist noch Einiges zur Arthrographie zu sagen. Sie ist - wie Sie aus den Bildern ersehen haben - für die Entscheidung über die Therapie in vielen Fällen notwendig für die Tiefeinstellung des Hüftkopfes und zur Vermeidung von Hüftkopfekrosen. Die Sonographie allein genügt bei Luxationen nicht.


Die ausfürlichste Beschreibung der Technik der Arthrographie findet sich in meinem Buch Über die angeborene Hüftdysplasie und Hüftluxation.

 

Hier kann nur kurz gesagt werden, dass der Zugang von caudal der beste ist und bei genauem Vorgehen nicht schwer. Das Kind liegt in Rückenlage. Die Beine werden von einer zweite. Person mit Bleihandschuhen 110° gebeugt und 50° abgespreizt gehalten.

Nach Desinfizieren der Haut Unterschieben steriler Tücher und Abdecken der Vaginal- und Analregion. Dann wird die Daumenkuppe genau auf den Sitzbeinhöcker gelegt. Unmittelbar lateral davon wird die Kanüle in kurzer Narkose in Körperlängsrichtung und genau horizontal eingestochen, unter Sicht des Bildwandlers und medial des Hüftkopfes, bis sie das Pfannendach erreicht. Wenn die Lagerung oder die Horizontalrichtung der Nadel verändert werden, kann die Nadel am Pfanendach vorbei gehen. Nach kleiner Kontrastmittelprobe werden 0,5 - 1 oder 2 ccm nachgespritzt bis sich das Gelenk gut darstellt. Das Bein sollte nicht bewegt werden, bis eine Beckenübersichtsaufnahme in Repositionsstellung angefertigt ist. Dann erfolgt die Aufnahme in Mittelstellung der Beine.

Was läßt sich zur Vermeidung von Hüftkopfnekrosen tun?

  1. Berücksichtigen, dass Hüfttyp 3b nach Graf nicht so selten ist und sich häufig nicht tief reponieren lässt.
  2. Bei Luxationen eine Arthrographie vornehmen. Fehlt der Kopfkern und ist der Pfanneneingang verengt, dann Reposition unbedingt verschieben. Sie lässt sich bei Vorhandensein des Kopfkerns fast immer noch später konservativ erreichen, sonst aber auch operativ.

 

Download
Hüftkopfnekrosen im Zeitalter der Sonographie und wie sie sich vermeiden lassen PDF (6,1 MB)
Röntgenuntersuchung und Arthrographie des Hüftgelenks im Kleinkindesalter
Orthopäde (1997) 26: 49–58
(mit freundlicher Genehmigung des Springer-Verlags)
PDF (736 KB)

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