Prof. Dr. med. Dietrich Tönnis

Sammlung wissenschaftlicher Arbeiten und Vorträge zur Orthopädie

Home | Zur Person | Wissenschaftliche Arbeiten, Vorträge und Referate |

Vergleichende Untersuchungen der Wirksamkeit konservativer Behandlungsverfahren der congenitalen Hüftluxation.
Eine Statistik des Arbeitskreises für Hüftdysplasie der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie der Jahre 1975-1990

© Prof. Dr. med. Dietrich Tönnis

Alle im Text verwendeten Abbildungen lassen sich per Mausklick vergrößert darstellen! Am Ende des Textes finden Sie darüber hinaus ein PDF zum Download.

Der Arbeitskreis für Hüftdysplasie der DGOT, den ich 1972 von Prof. Hans Mau übernahm, hatte viele Mitglieder Deutschlands und Österreichs:
Altenhuber J., Amler B., Amler M.; Anders G., Behrens K., Bernau A., Brüning K., Casser HR., Chicote-Campus F., Clausing B., Doppler G., Exner U., Gekeler J., Gohlke F., Graf R., Grill F., Hovy L., Janteas Ch., Kern S., Klapsch W., Konermann W., Lebowski B., Ludwig C., Maronna U., Mellerowicz H:, Münzenberg KJ., Niethard FU., Noe G., Plaschy S. Pomsel T., Tönnis D., Tschauner D., Venbrocks RA, Werland K., Statistische Mitarbeit: A. Heinecke.


(Tab. 1) 1968 Gelenke betroffen
Beidseitig Rechts oder links
47,2 % 52,8 %
(Tab. 2) Alter und Anzahl der Gelenke
Alter Anzahl (n) Anzahl (%)
0 - <  1 Mon. 295 15,0
1 - <  3 Mon. 384 19,5
3 - <  6 Mon. 758 38,5
6 - <  9 Mon. 317 16,1
9 - < 12 Mon. 103  5,2
12 - < 15 Mon. 36  1,8
15 - < 18 Mon. 34  1,7
18 Mon. und älter 41  2,1

So konnten 1968 Hüftgelenke nach der Geburt erfasst werden (Tab. 1), von einem Monat bis zu 18 Monaten, mit einem Maximum bei 3-6 Monaten wie Tab. 2 erkennen lässt.


Die Zeit der Nachuntersuchung reichte bis zu 6 Jahren (Abb. 1).


Als ich 1960 in die Orthopädie eintrat und einmal Prof. Imhäuser fragte, woran man eine Hüftdysplasie erkennen könne, war die Antwort "mit dem klinischen Blick". Mein "klinischer Blick" ließ mich als erstes jedoch erkennen, dass die Becken der kleinen Kinder manchmal seitlich gedreht waren und auch unterschiedlich nach vorn gekippt oder umgekehrt aufgerichtet waren. So hieß meine erste orthopädische Arbeit " Änderungen des Pfannendachwinkels bei Dreh- und Kippstellungen des kindlichen Beckens" (7). Den Drehungsquotienten des Beckens um die Längsachse erfasst man, indem man den den Querdurchmeser des Foramen obturatum rechts durch links teilt. Der Winkel wird kleiner auf der Seite zu der gedreht wird und größer auf der Gegenseite. Normbereich: 1,8 - 0,56 cm. Bei stärkerer Drehung und gleichzeitiger Kippung kann der Pfannendachwinkel bis zu 8° abweichen. Für die Beckenkippung haben Ball u. Kommenda (2, 3) einen Winkel angegeben, der etwas praktischer ist als unserer.

Es wird der vertikale Durchmesser des Foramen obturatum durch den Abstand der medialen Os pubis Spitze von der Hilgenreinerlinie gemessen, die die quere Linie des Pfannendachwinkels nach Hilgenreiner (ac-Winkel) ist (2, 3) (Fehlermöglichkeiten bei der röntgenologischen Hüftdysplasiediagnostik). Bei regelrechter Lagerung des Beckens beträgt der Index 0,75 - 1,2.


Für den Zeitpunkt der Geburt lagen zahlreiche Angaben über den normalen Pfannendachwinkel vor, auch über Mittelwerte in verschiedenen Altersstufen. Die Auslese blieb aber subjektiv und unsicher. Wir entschieden uns deshalb für eine langfristige Verlaufskontrolle bis zum Alter von 5 - 7 Jahren an 2294 Hüftgelenken (8) (Abb. 2). Hier wurden bewusst die gesunden und pathologischen Gelenke zusammengestellt. Die einfache und die doppelte Standardabweichung dienten als Grenzziehung für die weitere Beobachtung der Gelenke (Abb. 3). Erhöhte Dreh- und Kippstellungen wurden ausgeschlossen.


Ergebnis

Verschlechterung in den Bereich oberhalb 2s: 19,2%
Verbleib im Bereich s-2s: 40,4%
Verbesserung in den Bereich unter s: 40,4%

Der Bereich oberhalb 2s wurde nun als pathologisch angesehen. Dicht oberhalb dieser Grenze liegende Hüftgelenke wurden mit Spreizhosen behandelt. Abb. 4 zeigt ihre Besserung und dann auch nach Absetzen der Spreizhose ihren Verbleib im Mittelfeld, der einfachen Standardabweichung. Das deutet auch darauf hin, dass hier wirklich der Bereich des Nomalwinkels liegt.


(Tab. 3) AC-Winkel
Alter
(Jahre/Monate)
Normalwert
(Mittelwert)
Grad 1
(normal)
Grad 2
(leicht pathologisch)
Grad 3
(schwer pathologisch)
Grad 4
(extrem pathologisch)
0/3 + 0/4 25 < 30 ≥ 30 - < 35 ≥ 35 - < 40 ≥ 40
0/5 - 2/0 20 < 25 ≥ 25 - < 30 ≥ 30 - < 35 ≥ 35
2 - 3 18 < 23 ≥ 23 - < 28 ≥ 28 - < 33 ≥ 33
3 - 7 15 < 20 ≥ 20 - < 25 ≥ 25 - < 30 ≥ 30
7 -14 10 <15 ≥ 15 - < 20 ≥ 20 - < 25 ≥ 25

Wir stellten dann Normalwerte und drei Abweichgrade auf, die für Statistiken genauere Ergebnisse zeigen (Tab. 3), leicht pathologisch, schwer und extrem pathologisch. Sie sollten für Statistiken statt der Einteilung von Severin benutzt werden, der nur den CE-Winkel mißt.

(Tab. 4) Abweichungsgrade des knöchernen Dachwinkels 
nach Graf im Sonogramm
1 ≥ 60º unter 3 Monate
≥ 64º  über 3 Monate
2 50 - 59º unter 3 Monate
60 - 63º  über 3 Monate
3 44 - 49º unter 3 Monate
44 - 59º  über 3 Monate
4 < 43º
(Tab. 5) Häufigkeit von Hüfttypen nach Graf
bei Neugeborenen (n=5174)
Hüfttyp % Summe
2a - verschlechtert
(bei Nachuntersuchung)
3,9 3,9
2c
2d
1,2
0,9
2,1
3a
0,5
0,04
0,54
  6,54 %

Dann wurden auch für die Sonographie Normalwerte und Abweichgrade aufgestellt (Tab. 4). In Tab. 5 sind zusätzlich die sonographischen Hüfttypen von Graf zu sehen, die sich von 2 a, dem Normalwert, bis Grad 4 verschlechtern können (5, 6).


(Tab. 6) Anzahl der Behandlungsmaßnahmen
Maßnahmen Gelenke %
1 804 40,9
2 888 45,1
3 247 12,6
4 29 1,5

Wir kommen jetzt zu den Behandlungsmaßnahmen bei Hüftdysplasien und Hüftluxationen und ihren Ergebnissen. Es handelt sich um ein großes Material aus verschiedenen Kliniken Deutschlands und Östereichs.

Tab. 6 lässt erkennen, wie oft nur eine oder mehrere Maßnahmen angewandt wurden. So legte man nach einem Beckengipsverband meist noch eine Spreizschiene an zur Sicherheit, bis der Hüftkopf stabil in der Pfanne stand.


 

(Tab. 7)
Abk. Bezeichnung Anzahl (n)
FG Fettweis-Gips 752
OE Overhead-Extension 145
ER Extensionsreposition 322
DS Düsseldorfer Schiene 448
HA Hanausek-Apparat 20
FS Fettweis-Schiene 15
BW Breitwickeln 111
LRS Loerracher Schiene  61
AN Andere 15

In Tab. 7 sind zahlreiche neuere Maßnahmen und ihre Häufigkeit zu ersehen. In Dortmund und dann weiteren Kliniken wurde der Hüftkopf, wenn sich kein Widerstand im Arthrogramm und bei Durchleuchtung zeigte, nach Fettweis in Hocksitzstellung ( 4 ) eingegipst unter 110-120° Beugung und nur 30-45° Abspreizung. Dies war nötig, da bei den früher nach Lorenz eingerenkten Hüftgelenken ein Gips angelegt wurde, der die Oberschenkel 90° beugte und 90° abspreizte. Dadurch wurden die Blutgefäße des noch knorpeligen Hüftkopfes so unter Druck gesetzt, dass es zu schweren Hüftkopfnekrosen kam.


 

(Tab. 8)
Abk. Bezeichnung Anzahl (n)
SH Spreizhose 684
PB Pavlik-Bandage 167
LS90 Spreizschiene in Lorenzstellung (90) 106
LS70 Spreizschiene in Lorenzstellung (70) 179
HD Hofmann-Daimler 27
HDBS H-D-Bandage mit Schienenbehandlung 60
LG 90 Lorenzgips (90) 83
LG70 Lorenzgips (70) 188
LA Lange-Gips 13

Die anderen Verfahren wie die Extensionen verschiedener Art und auch andere Schienen wurden weniger benutzt. Das zeigt auch Tab. 8, bei der zum Teil nur Dysplasien behandelt wurden, wenn hier Spreizhosenbehandlung bei 684 Kindern angegeben wurden. In einem anderen Teil der Kliniken wurden auch noch Gipsverbände und Schienen in Lorenzstellung angelegt.


 

Abb. 5 liefert uns jetzt die Ergebnisse der Behandlung in Graden der Normalisierung und Abweichgraden des Alpha- und AC Pfannendachwinkels. Sie lagen bei den primären Gipsverbänden zwischen 85,3 % und 80,1 %, also weitgehend "sehr gut," und "leicht dysplastisch", bei den Extensionen mit nachfolgenden Gipsverbänden dagegen vorwiegend um 60 %.


 

Aufschlußreich ist auch das Verfolgen von AC-Winkelverbesserungen im Hocksitzgipsverband nach Fettweis.

Abb. 6 zeigt Hüften mit Ausgangswinkeln bei etwa 35° bis knapp 40°, die sich innerhalb von 6-8 Monaten normalisieren, auch bei Behandlungsbeginn noch ab dem 2. Halbjahr des Lebens.


 

In Abb.7 wurde der Gipsverband bei Winkeln von 36°-38° abgenommen und auf eine Beuge-Spreiz-Schiene (Düsseldorf) übergegangen. In der zweiten Hälfte des 1. Lebensjahres ist der Besserungsgrad dann geringer und langamer und lässt im 2. Lebensjahr noch weiter nach, so dass ab einem Alter von 18 Monaten Pfannendachplastiken hinzu genommen werden müssen.


 

(Tab. 9) Prozentuale Verteilung des AC-Winkels bei der letzten Nachuntersuchung
  Ohne Azetabuloplastik   Mit DVO und Azetabuloplastik
AC-Winkel n (%)   n (%)
Grad 1 (normal) 92 (38,5)   53 (75,7)
Grad 2
(leicht pathologisch)
102 (42,5)   11 (15,7)
Grad 3
(schwer pathologisch)
37 (15,5)   4 (5,7)
Grad 4
(extrem pathologisch)
8 (3,3)   2 (2,9)

Die Endergebnisse sind aus Tab. 9 zu ersehen, einmal ohne und einmal mit zusätzlicher Detorsionsvarisierungsosteotomie. Ohne DVO kam es in 81% zu Besserungen auf Grad 1 und 2 (n = 194), mit DVO in 91,4 % (n=64).

Nach diesen Untersuchungen lässt sich nur folgern, dass nach der Geburt sobald als möglich eine Hüftdysplasie oder eine Hüftluxation auszuschließen oder sofort zu behandeln sind. Allerdings müssen wir auf unsere Untersuchungen über die Ursachen von Hüftkopfnekrosen bei Behandlung der congenitalen Hüftluxation hinweisen und eine frühere Statistik des Arbeitskreises für Hüftdysplasie 1978. Wenn noch kein Hüftkopfkern vorhanden ist, ist das Risiko der Einrenkung hoch und es lässt sich wie aus unseren Untersuchungen hier zu ersehen ist auch noch im ganzen ersten Lebensjahr eine Hüfteinrenkung vollziehen - bei Kopfkern ohne Nekrose - wenn nicht Ausfüllungen der Pfanne mit Weichteilen oder eine extreme Verengung des Pfanneneingangs eine operative Einstellung verlangen.

Wir erlernten früher die Azetabuloplastik mit Varisierungsosteotomie. Später mussten wir erkennen, dass es dadurch zu Kopf-im-Nacken-Lagen kommt, im Englischen auch als "subcapital coxa valga" bezeichnet. Der Schenkelhals ist in der Varusstellung verkürzt. Auch die Detorsion kann zur Arthrose führen, wenn eine verringerte Pfannenanteversion hinzu kommt, wie wir an den "Torsionsanomalien" gezeigt haben (Tönnis und Heinecke 1999). Nachuntersuchungen von Pfannendachplastiken ohne Varisierung zeigten gute Ergebnisse (Bonmann).


Literatur

(1) Arbeitskreis Hüftdysplasie (1978), Hüftluxation und Hüftkopfnekrose, Herausgeber D.Tönnis, Bücherei des Orthopäden, Band 21, F. Enke Verlag, Stuttgart

(2) Ball, F. (1979), Fehlermöglichkeiten bei der radiologischen Hüftdysplasiediagnostik, Roentgenpraxis, 132: 58-74

(3) Ball, F., Kommenda, K. (1968), Sources of error in the roentgen evaluation of the hip in infancy, Ann. Radiol. (Paris), 11:299-301

(4) Fettweis, E. (1968), Sitz-Hockstellungsgips bei Hüftdysplasien, Arch. Orthop, Trauma Surg., 63: 38-51

(5) Graf, R., Sonographie der Säuglingshüfte und therapeutische Konsequencen, Ein Kompendium, Thieme Verlag 1985

(6) Graf, R. (1998), Sonographie der Säuglingshüfte, ein Kompendium, Acta Orthop. Scand., Bücherei des Orthopäden, Band 43

(7) Tönnis, D. (1962), Änderungen des Pfannendachwinkels bei Dreh- und Kippstellungen des kindlichen Beckens, Z. Orthop., 96: 472-478

(8) Tönnis, D., Brunken (1968), Arch. Orthop. Trauma Surg., 64: 197-228

(9) Tönnis, D., Heinecke (1999), Verringerte Pfannenanteversion und Schenkelhalsantetorsion verusachen Schmerz und Arthrose, Teil 1: Statistik und klinische Folgen, Z. Orthop., 137: 153-158

(10) Tönnis, D., Heinecke, A. (1999), Verringerte Pfannenanteversion und Schenkelhalsantetorsion verusachen Schmerz und Arthrose, Teil 2: Ätiologie, Diagnostik und Therapie, Z. Orthop., 137: 160-167.

(11) Tönnis, D., Heinecke,A. (1999), Current Concepts Review, Acetabular and Femoral Anteversion. Relationship with Osteoarthritis of the Hip, Journal of Bone and Joint Surgery, Vol. 81-A, No. 12: 1747-1770

(12) Brüning, K., Heinecke, A., Tönnis, D. (1988), Langzeitergebnisse der Acetabuloplastik, Z. Orthop., 126: 287-292

(13) Tönnis, D., Brüning, K., Heinecke, A., Lateral acetabuloplasty, J. Pediatr. Orthop., Part B (1994), 3: 40-46.

 

Download
Vergleichende Untersuchungen der Wirksamkeit konservativer Behandlungsverfahren der congenitalen Hüftluxation. PDF (592 KB)

Home | Zur Person | Wissenschaftliche Arbeiten, Vorträge und Referate |  © 2009 - Prof. Dr. med. Dietrich Tönnis | Impressum