Prof. Dr. med. Dietrich Tönnis

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Verringerte Pfannenanteversion und Schenkelhalsantetorsion, eine häufige, aber selten erkannte Ursache der Coxarthrose

© Prof. Dr. med. Dietrich Tönnis, Dr. med. Achim Heinecke

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Wenn die Ursachen einer Hüftarthrose aufgezählt werden, wird selbst in neueren Publikationen behauptet, es gäbe noch einen gewissen Anteil an idiopathischen Arthrosen, deren Ursache man nicht kennt. Wir glauben die Ursache zumindest des Hauptanteils dieser Arthrosen gefunden zu haben (1, 2). Es handelt sich um Torsionsanomalien des Hüftgelenks. Bisher kannte die Orthopädie nur die Auswirkungen der erhöhten Antetorsion des Schenkelhalses. Kinder mit dieser Deformität laufen mit stark innenrotierten Beinen. Man weiß auch, dass dies nur selten zur Arthrose führt.



Wir haben in einer Auswertung von Computertomographien bei 181 Patienten und 356 Gelenken 1999 festgestellt, dass es überraschend häufig verringerte Anteversionen der Hüftpfanne (AV) und verringerte Antetorsionen des Schenkelhalses (AT) gibt, die Schmerzen und Arthrose verursachen, nur man sieht sie nicht auf dem ap Röntgenbild. Deshalb verstecken sie sich bei den idiopathischen Arthrosen.

Was sagen Sie beispielsweise zu diesem Beckenbild. Die Hüftköpfe sind rund, nicht deformiert und kongruent und tief in die Pfanne eingestellt. Die Aufnahme scheint keinen Hinweis auf die Ursache von Hüftschmerzen zu geben.



Fertigt man aber ein Röntgenbild nach Rippstein u. Müller an, erkennt man, dass keine Antetorsion von 15 - 20° vorliegt. Sie liegt nahe bei 0°. Prüft man dann die Innenrotation des Hüftgelenkes in der Mitte zwischen voller Streckung und Beugung, also bei 45°, dann ist die Innenrotation oft wie hier auf 10 - 30° eingeschränkt und die Aussenrotation auf das Doppelte und mehr erhöht, gegenteilig also zum Befund bei der erhöhten AT.



Ein gewisser Hinweis im ap Röntgenbild ist oft nur, dass der Trochanter major ganz seitlich steht und sich die volle Länge des Schenkelhalses darstellt und oft auch etwas Coxa vara vorhanden ist, hier allerdings nicht.



Kommt dann noch eine verringerte AV der Pfanne gegen 0° hinzu, dann treten schon zwischen 20 und 30 Jahren Hüftschmerzen auf.



Einen gewissen Hinweis auf die Anteversion der Pfanne kann man aus dem Röntgenbild erhalten, wenn das Becken nicht seitgedreht und nicht vermehrt ventral gekippt oder aufgerichtet liegt. Das ist Voraussetzung.

Der vordere und der hintere Pfannenrand haben in der Norm nach unseren Erfahrungen in Pfannenmitte einen Abstand von etwa 1,5 cm. Überdecken sich die beiden Ränder, ist die Anteversion aufgehoben.



Ist der Abstand wesentlich größer wie im Bild linkslinks, ist eine erhöhte AV wahrscheinlich. Die Überlappung des vorderen Pfannenrandes kann aber auch wie im Bild rechts erst kurz vor dem Pfannenerker auftreten. Dann liegt nur in den obersten Hüftkopfschnitten eine verringerte Pfannenanteversion vor.

Diese Beobachtung hat Bedeutung für die Frage, in welcher Höhe wir im CT die AV messen sollen. Sie muss nach unserer Auffassung dort gemessen werden, wo der Pfannenrand die Rotationsänderung und das Impingement hervorruft. Das kann, wie hier zu erkennen, schon in den obersten Hüftkopfschnitten sein, meist aber etwas tiefer.



Vergleicht man höhere und tiefere CT- Schnitte des Hüftkopfes, so zeigt sich wie im rechten Bild, dass der vordere Pfannenrand nach unten immer weiter zurückweicht. Wirklich umfasst ist der Hüftkopf nur dort, wo er wie im linken Bild ventral noch einen spitz ausgezogenen Rand und eine genügend breite und auch kongruente Anlagefläche aufweist. Hier entsteht die Rotationsverschiebung.

Dieser CT-Schnitt liegt meist etwas oberhalb des größten Kopfdurchmessers. Das ist bei der Bestimmung der AV durch das CT zu berücksichtigen. Ferner sollte nach Visser das CT in Bauchlage angefertigt werden, um eine weitgehend normale und einheitliche Beckenkippung zu gewährleisten. Deshalb sind unsere Cts in Bauchlage angefertigt oder wie hier nachträglich einheitlich gedreht.


Bei der Bestimmung der Femurtorsion müssen Summationsbilder des Schenkelhalses herangezogen werden, um ein falsches Einzeichnen der Schenkelhalsachse wie im rechten Bild durch die oben liegende Fossa trochanterica zu vermeiden.angefertigt werden, um eine weitgehend normale und einheitliche Beckenkippung zu gewährleisten. Deshalb sind unsere Cts in Bauchlage angefertigt oder wie hier nachträglich einheitlich gedreht. Die Auswirkung der Torsionsanomalien auf die Entstehung von Schmerz und Arthrose ist auch davon abhängig, ob an Pfanne und Femur eine sehr niedrige Antetorsion gegen 0° vorliegt. Denn eine erhöhte Antetorsion des Femurs kann auch eine verringerte Pfannenanteversion kompensieren. Eine erhöhte Pfannenanteversion kann das nicht im gleichen Maße. Das ist bei der Indikation von Operationen zu berücksichtigen.

(Tab. 1) Abweichgrade zu geringer und zu hoher Pfannenanteversion und Schenkelhalsantetorsion mit vermutetem Normalbereich
Grad -3 < 10° stark verringerte AV und AT
Grad -2 10 - 14° mäßige Verringerung
Grad 1 15 - 20° vermuteter Normalbereich
Grad +2 21 - 25° leicht erhöhte AV und AT
Grad +3 > 25° starke Erhöhung
(Tab. 2) Einteilung und Prozentsätze der Abweichgrade des Instabilitätsindexes nach McKibbin (n=290)
Instabilitätsindex (AV + AT) Prozentsätze
<20 Grad -3 37,9
20 - <30 Grad -2 24,5
30 - 40 Grad 1 23,5
>40 - 50 Grad +2 8.6
>50 Grad +3 5.5

Bei unseren Topographien von 356 vorwiegend auffälligen Gelenken teilten wir die Normwerte für AV und AT von 15-20° nach Prüfung von Schmerzfreiheit und Beweglichkeit als Grad 1 ein, nachdem sich zeigte, dass sie die geringste Schmerzrate und eine normale Beweglichkeit aufwiesen. Dann wurde ein Abweichgrad -2 für WInkel von 10-14° eingeführt und ein Grad -3 für Winkel unter 10°, ebenso Einteilungen für erhöhte Werte von +2 und +3° (Tab. 1). In Tabelle 2 wurden die Torsionswinkel von Pfanne und Femur nach McKibbin addiert. Dann betrug der normale Summationswinkel 30-40°, darunter lagen die verringerten -2 und -3 Grade, darüber die erhöhten. Grad -3 in der Addition der Grade wurde in 38% gefunden, Grad -2 in 24%, Gesamtsumme also 62% verglichen mit nur 15% erhöhten Winkeln.


Diese Torsionsfehler kommen angeboren vor allem bei Jungen vor, verlieren sich zum Teil, aber nicht alle. Sie sehen hier links die typische Einschränkung der Innenrotation bei 45° Beugung und rechts die Verstärkung der Außenrotation.



(Tab. 3) Häufigkeit der stark verringerten Anteversion von Hüftpfannen und Schenkelhals bei verschiedenen Deformitäten
Deformität Gelenke Anteversion Pfanne Anteversion Femur
Hüftdysplasie (n=32) 29 % 59 %
Tiefe Pfanne (n=40) 25 % 61 %
Epiphysiolysis (n=33) 27 % 77 %
Coxa vara (n=39) 5 % 77 %
Coxa valga (n=21) 29 % 33 %

Verringerte AV und AT sind in Grad -3 ein Faktor der Epipysiolysis in 77% am Femur und 27% am Acetabulum. Auch bei leichten, subklinischen Formen der Epipysiolysis sind AT und AV verringert, ebenfalls bei Coxa vara in 77% von Grad -3 am Femur und in 5% am Acetabulum, in geringerem Prozentsatz auch bei Coxa valga. Selbst bei Hüftdysplasie war der schwere Abweichgrad -3 in fast 60% am Femur und 29%, also fast 30%, an der Pfanne festzustellen. Auch bei tiefen Pfannen und Protrusio acetabuli kommen Torsionsfehler vor.



Und schließlich kommen Schmerzen und Arthrose auch nach Detorsionsosteotomien, wenn die AT bis auf 0° verringert wurde und sich im Kindesalter meist nicht mehr normalisierte wie hier.




Bei Ewachsenen wurde die Detorsion im Rahmen der Varisierungsosteotomie früher oft auch etwas undifferenziert gehandhabt, so dass Retrotorsionen wie diese rechts am linken Hüftgelenk vorkamen.

Dem ap Bild links sehen Sie – wie typisch – nichts an.



Die Therapie muss in einer Normalisierung der AV und AT auf 15-20° bestehen.


Damit wird der Bewegungsradius normalisiert. Schmerzen werden beseitigt.


Die Rotation des Schenkelhalses im Rahmen der intertrochantären Osteotomie ist nicht problematisch. Nur das Erreichen der genau ausgewogenen Stellung mit leichtem Überwiegen der Innenrotation in 45° Beugestellung verlangt oft mehrere Anläufe. Kurze Kirschnerdrähte, gerichtet auf die Schaftachse ober- und unterhalb der Osteotomie, und kleine Winkel-plättchen ermöglichen mehr Genauigkeit, aber entscheidend ist immer die Bewegungsprüfung.



Die Rotation der Pfanne lässt sich durch die dreifache Beckenosteotomie unseres Typs in der dritten Ebene, der Horizontalen, gut durchführen, wenn man die Iliumosteotomie etwas flacher oder horizontaler vornimmt.

Zu berücksichtigen ist auch, dass durch die Ventralrotation bei Hüftdysplasie Anteversion verloren geht. Deshalb muss auch bei der Dreifachosteotomie bei Hüftdysplasie das Pfannenfragment 10-15° innengedreht werden.

Es sollte immer nach der Pfannenrotation geprüft werden, ob die Innenrotation des Hüftgelenkes frei ist und gegenüber der Außenrotation leicht überwiegt.



Fehlerhafte Retroversionsstellungen kommen in der Lernkurve manchmal vor und sind zu vermeiden. Sie sehen hier eine gute Übderdachung seitlich und vorn nach der Dreifachosteotomie. Es fällt nur auf, dass der vordere Pfannenrand weit herabgezogen ist.



Das CT ergibt eine Retroversionsstellung der Pfanne.



Bei dieser Patientin beachteten wir früher die 0° Pfannenanteversion links und rechts, den kranial vorspringenden vorderen Pfannenrand noch nicht, sondern nur die Dysplasie.



Diese wurde voll beseitigt, der vordere Pfannenrand durch die Ventralschwenkung aber noch mehr herabgezogen.

Deshalb die Empfehlung, die Osteotomie immer mit einer leichten Innenrotation der Pfanne zu verbinden und die Rotation des Hüftgelenkes sofort nach der Schraubenfixation zu prüfen.



Im Folgenden möchte ich noch einige aufschlussreiche Bilder zeigen. Dies sind Aufnahmen eines 32jährigen Försters, der mit 27° Retrotorsion des rechten Femurs den extremsten Wert hatte.




Auch die Anteversion der rechten Pfanne betrug nur 1 %. Da er aus beruflichen Gründen keinen längeren Ausfall in Kauf nehmen wollte, ...



... führten wir nur eine Rotationsosteotomie auf etwas erhöhte Grade durch. Er ist seitdem weitgehend beschwerdefrei.




Eine 42jährige Lehrerin klagte über Belastungsschmerzen des rechten Hüftgelenks bei geringgradiger Hüftdysplasie und zeitweilig über ein giving way-Syndrom als Ausdruck einer Labrumschädigung. Im CT erscheint der Gelenkspalt ventral verringert. Die Anteversion der Pfanne war nur gering auf 10° erniedrigt.


Der Femur wies dagegen eine Retrotorsion von -7° gemessen an der Stellung der Femurkondylen auf. Hier schien es uns doch richtiger, ...



... auch in Hinblick auf die leichte Hüftdysplasie und das Labrumsyndrom neben der Femurrotation auch die Hüftpfannenschwenkung und Rotation vorzunehmen. Sie ist seitdem wieder arbeitsfähig und nahezu beschwerdefrei.



Diese Cts eines 34jährigen Arztes zeigen eine Anteversion der rechten Pfanne von nur 8°.
Das rechte Knie ist 8° außenrotiert. Es müssen also 8° an der Schenkelhalsmessung abgezogen werden.

Diese Aufnahme ist älteren Datums und noch ohne die volle Summation der Schnitte angefertigt. Der Winkel würde sonst wohl 6 -7° betragen, so dass sich eine Retrotorsion von wenigen Graden ergibt.



Er hatte deutliche Belastungsbeschwerden. Sein Röntgenbild zeigt eine mäßige Coxa vara. Die Epipyse lässt an eine abgelaufene leichte, subklinische Epiphysiolysis denken. Hier schien es uns richtig, Pfanne und Femur auf normale Torsionswinkel zu bringen, gleichzeitig den Schenkelhals leicht aufzurichten und die Deckung des Hüftkopfes zu verbessern. Er wurde ganz bescherdefrei.



Lassen Sie uns zusammenfassen. Die dritte Ebene des Hüftgelenks ist keine wissenschaftliche Spitzfindigkeit. Jeder Orthopäde weiß, dass der innenrotierte Gang der kleinen Mädchen mit einer hohen Antetorsion zusammen hängt. Jetzt müssen wir hinzulernen, dass der außenrotierte Gang und die Einschränkung der Innenrotation bei verstärkter Außenrotation Hinweise auf eine Torsionsanomalie des Hüftgelenkes sind, die im üblichen Röntgenbild nur indirekt zu sehen ist. Aber ihre Häufigkeit rangiert in unserem Krankengut wie 62% zu 15%. Die Diagnose ist durch eine Rotationsprüfung und auch durch erste Hinweise im Röntgenbild nicht schwer. Nur – man muss daran denken. Und das wünschte ich mir von jedem Orthopäden in Zukunft.

Literatur

  1. Tönnis D., Heinecke A., Verringerte Pfannenanteversion und Schenkelhalsantetorsion verursachen Schmerz und Arthrose. Teil 1: Statistik und klinische Folgen. Teil 2: Ätiologie, Diagnostik und Therapie. Z. Orthop. 137 (1999): 153-159. 160-167
  2. Tönnis D., Heinecke A., Acetabular und Femoral Anteversion: Relationship with Osteoarthritis of the Hip. (Current Concepts Review) J. Bone Surg.: 81-A (1999) 1747-1770

 

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